Warum soll ich Deutsch lernen?
Morgen geht es bei uns wieder los! Bestimmt werden unter den neuen Kindern einige sein, die bei uns zum ersten Mal mit der deutschen Sprache konfrontiert werden.
Wie geht es diesen Kindern?
An meinen Praxiskursen habe ich mit meinen Teilnehmerinnen zwei kleine Experimente durchgeführt, um ihnen zu zeigen, wie es einem Kind geht, wenn es mit einer Sprache überschüttet wird, die es nicht versteht.
Zuerst habe ich mit meinen Teilnehmerinnen ein Sprachspiel auf französisch durchgeführt, sie sollten mir verschiedene Werkzeuge nennen, um anschliessend die Ableitungen zu lernen. Obwohl die meisten einmal in der Schule französisch hatten, war es für viele Teilnehmerinnen sehr schwierig meinen französichen Erläuterungen und Fragen zu folgen, es lag nicht an meinen bescheidenen Französischkenntnissen.
Im Schnitt konnten sich die Frauen 3 - 4 neue Wörter (von insgesamt 20) merken und sie in einer zweiten Runde selbständig nennen. Sie waren sich einig, es waren zu viele Wörter, es war sehr schwierig zu verstehen, was ich von ihnen wollte, die Bewegungen und die konkre-ten Gegenstände halfen, sich die Wörter besser zu merken.
Im zweiten Experiment führte ich den Damen das Bilderbuch "Ein Ball für alle" als Bilder-buch-Kino auf türkisch vor. Die Tapfersten hielten 3 - 4 Minuten durch, dann schweiften auch sie ab, suchten nach Taschentüchern, ordneten die Blätter auf dem Tisch, tranken eine Schluck Wasser, ...
Wer Lust hat, schaut sich doch einmal eine DVD auf türkisch oder in einer anderen unbekannten Sprache an, wie langt bleibt ihr aufmerksam.
Für unsere Kinder ist es noch ein wenig schwieriger, meistens wissen sie nicht, was ihnen geschieht. Zu Hause war noch alles gut, sie konnten sich mit den Eltern, Grosseltern, Geschwister verständigen und jetzt plötzlich können sie sagen, was immer sie wollen, niemand versteht sie. Schlimmer noch, diese andere Person, spricht mit dem Kind und schaut erwartungsvoll. Das Kind versucht sich durch Gesten zu helfen und schon bald merkt es, eigentlich geht es auch ohne Sprache.
Wenn es etwas Geduld hat, steht Essen und Trinken auf dem Tisch, es kann seine Spiele selbst auswählen und wenn es dringend Hilfe braucht, kann es mehr oder weniger lautstark auf sich aufmerksam machen und die Leiterin dorthin führen, wo es Hilfe braucht.
Die anderen Kinder sind für das gemeinsam Spiel noch nicht so wichtig, die meisten Spielgruppenkinder spielen die meiste Zeit noch nebeneinander, das Rollenspiel entwickelt sich erst kurz vor dem vierten Geburtstag.
Was macht den Lernerfolg aus?
Der Australier John Hattie hat tausende Studien untersucht,
um herauszufinden, was den Lern-
bzw. den Schulerfolg der Schüler ausmacht.
1.
Schüler-Selbstbeurteilung
Den
grössten Einfluss entdeckte er in den Schülern selbst, eine gute Selbsteinschätzung führt zu
guten Ergebnissen.
2. kognitive
Entwicklung nach Piaget
0
– 2 Jahre: Sensomotorische Stufe:
Kleinkinder lernen einfache Sinneswahrnehmungen wie Sehen, Hören und
Fühlen, sie versuchen
die Welt zu verstehen, in dem sie ihre Wahrnehmungen
mit pysischen und motorischen Aktionen koordinieren.
2
– 7 Jahre: Präoperationale Stufe:
Kinder können nun einfache Konzepte und
Symbole verstehen. Sensomotorische Aktivitäten werden mit
fortlaufendem Alter durch geistige Aktivitäten wie Sprache und
Bilder ersetzt. Ihr Denken ist noch nicht logisch, sie glauben,
dass alles, was es für real hält, z. B. Träume und Bilder
existieren und belebt sind.
4. Glaubwürdigkeit
der Lehrperson
Vertrauen,
Kompetenz, Dynamik und Unmittelbarkeit (Direkt, klar, verständlich)
13. Lehrer-Schüler-Beziehung
Mitgefühl,
Wärme, Authentizität, Orientierung am Lernenden
17. Wortschatzförderung
Die
Kinder bekommen mehr als ein oder zwei Gelegenheiten, die Wörte zu
lernen, die sie können sollten. Texte werden im Voraus verständlich aufbereiten, schwierige Wörter
herausgesucht.
54. frühkindliche Förderung
Der
Besuch von Kindergarten und Vorschule hat unabhängig von der Dauer einen deutlich positiven Effekt
auf die Schülerleistung. Der Besuch von Ganztageskindergärten
wirkt sich dabei wesentlich stärker aus, als der in halbtägigen Einrichtungen.
Platz
54 ist nicht so berauschend, denkt ihr vielleicht, aber Hattie hat insgesamt 150
Faktoren aufgelistet, auf Platz 144 findet sich das offene Klassenzimmer,
die Fachkompetenz der Lehrer liegt auf Platz 137.
Den
letzten Platz mit einer Einflussgrösse von -0.34 belegt der Schulwechsel, an zweitletzter Stelle mit -0.18 liegt der
Fernseher.
Der
Wert von 0.4 bezeichnet den Durchschnitt, Werte darüber haben einen positiven Einfluss, die
kognitive Entwicklungsstufe hat einen Wert von 1.28, die frühkindliche Förderung hat einen Wert 0.47.
Hattie
hat nur englischsprachige Studien für seine Wertung verwendet. So viel
ich weiss, gibt es in allen englischsprachigen Länder Vorschulen für Kinder ab 2 – 3 Jahren,
also verfügten fast alle Schüler über eine frühkindliche Bildung. In der Schweiz
besuchen nur etwa 7.2 % der Kinder
unter
4 Jahren eine Kinderbetreuungseinrichtung, in Frankreich sind es bereits
64 % und in Deutschland hat jedes 2jährige Kind einen Anspruch auf
einen Kindergartenplatz. Es wäre bestimmt interessant, gäbe es eine schweizer Studie
über den Einfluss einer Spielgruppe oder einer Kita auf den späteren Schulerfolg.
Warum erwähne ich diese Studie? Was hat sie mit dem Deutsch lernen zu tun?
1. Schüler-Selbstbeurteilung
Wir können die Kinder in der Spielgruppe stärken und ihnen zu einem guten Selbstvertrauen verhelfen. Dieses wird umso grösser, je besser die Kinder sich sprachlich ausdürcken können.
2. kognitive Entwicklung
Während der Spielgruppen-Zeit sollte das Kind langsam von der sensomotorischen Stufe zur nächsten Stufe wechseln und anfange Symbole und Konzepte zu verstehen. Wenn wir feststellen, dass ein Kind vor dem Kindergarteneintritt noch nicht auf der zweiten Stufe angelangt ist, sollten wir das Gespräch mit den Eltern suchen und ihnen den Besuch einer Fachperson empfehlen.
4. Glaubwürdigkeit der Lehrperson
Wir sollten den Kindern nichts vorspielen, vor allem junge Kinder merken sehr schnell, wenn wir nicht wir selbst sind. Wenn wir etwas nicht mögen, nicht wirklich dahinter stehen können, sollten wir es weglassen. Wenn wir überzeugt sind von unserem Tun, können wir die Kinder dafür begeistern.
17. Wortschatzförderung
Ich habe festgestellt, dass viel Kindergartenkinder falsche Wörter gelernt haben, weil wir Erwachsene uns oft nicht klar ausdrücken oder gewisse Wörter einfach voraussetzen.
das Buch - viele Kinder bezeichnen es als Geschichte
der Farbstift - wird von vielen Kindern als Malen bezeichnet
die Schere - heisst schneiden
der Stuhl - ist der Tisch - setzt dich an den Tisch
Begeisterung heisst mein Zauberwort
Ich versuche die Kinder für meine Worte, für meine Tiere zu begeistern und ich begeistere mich für die Kinder. Ich freue mich aufrichtig, wenn ein Kind das richtige Wort sagt oder wenn es nur den Versuch startet, das richtige Wort zu sagen.
Ich bemühe mich, jedes Wort der Kinder zu verstehen, gebe Rückmeldungen, versuche das Verstandene zu zeigen, ich lache mit den Kindern und ich lasse mich auf Gespräch mit ihnen ein und seien sie noch so einfach: "Hund!"- "Ja, genau, das ist der Hund! Super! Weisst du noch wie der Hund macht? - Komm, wir versuchen es zusammen!" - "Wu, wu, wu!"
Und so kommt es, dass manche Kinder für uns Deutsch lernen, weil sie uns etwas erzählen möchten, weil sie uns eine Freude machen möchten.
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